Reintegration - ein Fallbeispiel
Das folgende Fallbeispiel beschreibt eine erfolgreiche berufliche Reintegration mittels Massnahmen eines betrieblichen Gesundheitsmanagements und eines Case Managements. Es werden verschiedenen Elemente einer beruflichen Umorientierung innerhalb des Betriebes aufgezeigt.
Ausgangslage
Der 56-jährige Herr F. ist seit 24 Jahren Hilfsarbeiter in derselben Firma. Er hatte in der Vergangenheit mehrere Arbeitsunfälle und vernachlässigte teils angemessene medizinische Behandlungen. Seine allgemeine gesundheitliche Situation hat sich in den letzten Jahren zunehmend verschlechtert und der Vorgesetzte bemängelte vermehrt die Leistung und die Arbeitsqualität. Herr F. hatte grosse Mühe die kritisierten Aspekte zu akzeptieren und für gewisses Verhalten am Arbeitsplatz und in der medizinischen Versorgung Selbstverantwortung zu übernehmen. Er hatte ebenfalls keine realistische Sichtweise seiner gesundheitlichen und beruflichen Situation. Die angestrebte und wohlverdiente Rente mit 60 Jahren wäre für Herrn F. 2018 erreichbar. Die Firma zeigte von Beginn an den Willen, eine akzeptable Lösung mit dem langjährigen Mitarbeiter bis zum Rentenalter zu finden.
Erste Schritte im Rahmen des Fehlzeitenmanagements
2012 wurde im Betrieb ein Fehlzeitenmanagement eingeführt. Die Firma wollte sich für Mitarbeitende einsetzen, welche aus krankheits- oder unfallbedingten Gründen vorübergehend ausfallen, und sie bei der Rückkehr an den Arbeitsplatz unterstützen.
Nachdem über einen längeren Zeitraum hinweg verschiedene Auffälligkeiten beobachtet worden waren, wurde Herr F. zu einem Unterstützungsgespräch aufgeboten. Dabei handelte es sich um ein wohlwollendes Gespräch, in dem die Schwierigkeiten am Arbeitsplatz und die Kritikpunkte seitens des Arbeitsgebers erläutert werden sollten. Das Gespräch gab Herrn F. die Gelegenheit, seine Sichtweise und Vorstellungen hinsichtlich seiner beruflichen Zukunft darzulegen. Dabei wurde klar, dass Herrn F.s gesundheitliche Probleme der Hauptgrund für die Schwierigkeiten bei der Arbeit waren und eine Ausführung der aktuellen Tätigkeit in Zukunft nicht mehr möglich sein würde – aus Sicht des Arbeitgebers waren die gesundheitlichen Einschränkungen sowie die Unfallgefahr zu gross, um Herrn F. weiterhin in der angestammten Tätigkeit arbeiten zu lassen.
Eine weitere Problematik stellten die diffusen medizinischen Einschränkungen dar. Diese sollten von einem Spezialisten klar definiert werden. Zu diesem Zeitpunkt wurde auch die Invalidenversicherung um Unterstützung angefragt. Aufgrund der fehlenden medizinischen Angaben und der intakten, anhaltenden Arbeitsfähigkeit von Herrn F. lehnte die IV vorerst jedoch jegliche Unterstützung ab.
Kundenbetreuung AEH und betriebliches Case Management
Auf der Suche nach Unterstützung und geeigneten umsetzbaren Massnahmen kontaktierte die Firma die AEH in Lausanne, um die schwierige Situation zu diskutieren und Lösungsansätze zu erarbeiten. In einem vertraulichen und offenen Gesprächs zwischen der Personalverantwortlichen der Firma und der AEH Case Managerin wurde entschieden, dass eine Funktionsorientierte Medizinische Abklärung (FOMA) bei AEH in Bern stattfinden sollte, um die Einschränkungen in der angestammten Tätigkeit klar zu definieren sowie mögliche zukünftige Tätigkeiten zu bestimmen.
AEH wurde von der Firma mit der Durchführung eines betrieblichen Case Managements beauftragt, um zukünftige Aktionen zu koordinieren und voranzutreiben. Herr F. sollte im Alltag unterstützt werden und man wollte ihm demonstrieren, dass der Betrieb sich um eine Lösung bemüht.
Nach einem ersten Standortgespräch mit Herrn F., auch Assessment genannt, konnten die Ziele und ersten Schritte mit dem Klienten klar definiert und vereinbart werden. Bei diesem vertrauenserweckenden Gespräch wurde die Tochter von Herrn F. miteinbezogen, so dass keine sprachlichen Schwierigkeiten bestanden und das zukünftige Vorgehen sowie die Verantwortlichkeiten klar waren. Um die Begleitung im Case Management zu ermöglichen, unterschrieb Herr. F. eine Vollmacht für die Case Managerin.
FOMA
Aus der FOMA hatte sich ergeben, dass Herrn F.s Gesundheitsstörung zu einer anhaltenden und relevanten Leistungsminderung in seiner aktuellen beruflichen Tätigkeit führte. Viele Arbeiten in der angestammten Tätigkeit waren auf Grund einer reduzierten Belastbarkeit im rheumatologischen Bereich nur noch eingeschränkt ausführbar. Dadurch musste Herr F. vermehrt Kurzpausen einlegen.
Vor dem Hintergrund dieser Ergebnisse wurde erneut der Kontakt mit der IV gesucht, um die Erkenntnisse zu kommunizieren und Unterstützungsmassnahmen zu beantragen. Die konkreten medizinischen Angaben wurden von der Case Managerin an die IV weitergeleitet. In diesem zweiten Anlauf kam der Regionale Ärztliche Dienst der IV zum Schluss, dass die gesundheitlichen Einschränkungen relevant sind und stimmte den Wiedereingliederungsmassnahmen mit einer Case Management Begleitung nun zu.
Die IV
Auf Grund dieser neuen Positionierung der IV organisierte die Case Managerin ein Rundtischgespräch mit allen Beteiligten. Es nahmen der IV-Berater, die Personalverantwortliche, der Sicherheitsverantwortliche sowie der Vorgesetzte und die Case Managerin teil. Relevante Informationen konnten ausgetauscht und die nächsten Schritte besprochen und entschieden werden. Herr F. wurde nachträglich ausführlich über die nächsten Schritte informiert. Der Betrieb erklärte sich bereit, intern nach einer Lösung zu suchen und Herrn F. die Chance für einen Arbeitsplatzwechsel bzw. eine Umorientierung im Betrieb zu geben. Die Idee war, Herrn F. in verschiedene Aufräum- und Putzarbeiten einzuführen, die vom Betrieb teilweise auch an Drittfirmen ausgelegt wurden.
Der Arbeitsvertrag und die Verantwortung sollte beim angestammten Betrieb bleiben, um die Koordination betreffend der Frührente nicht zu gefährden. Die neuen Aufgaben sollten im Rahmen der medizinischen Einschränkungen ausführbar sein und eine volle Arbeitsfähigkeit und -leistung erlauben. Herr F. sollte ausreichende Möglichkeiten erhalten, die neuen Aufgaben zu erlernen und gut in den Posten eingeführt werden. Während dieser Massnahme bezahlte die IV Krankentaggelder, um den Betrieb zu unterstützen und die Chancen für den Erhalt des Arbeitsvertrages von Herrn F zu erhöhen. Die IV unterstützte den Betrieb in diesem Sinne während eines Jahres.
Case Management Mandat durch IV
Parallel sprach die IV ein Mandat für die Case Management Betreuung durch AEH über 6 Monate aus, so dass die bereits involvierte Case Managerin die Reintegration von Herrn F. in die neue Tätigkeit weiterhin begleiten und vorantreiben konnte.
Langfristiges Ziel des Case Managements war der Erhalt der Arbeitsfähigkeit dank einer Umorientierung und Reintegration in eine angepasste Tätigkeit im angestammten Betrieb. Die Koordination (Ärzte, Versicherung, Betrieb) spielte dabei eine wesentliche Rolle und entlastete vor allem den Betrieb, aber auch die IV. Die Case Managerin konnte Herrn F. zudem davon überzeugen, dass eine regelmässige medizinische Betreuung durch einen Hausarzt wichtig ist und diese konnte ebenfalls organisiert werden. Der neue Hausarzt konnte während des Arbeitsplatzwechsels ins Case Management einbezogen werden. Unterstützende Therapien zur Unterstützung und Stabilisierung der gesundheitlichen Situation wurden ebenfalls vom Hausarzt verordnet.
In den folgenden Monaten konnte Herr F. die neue Tätigkeit konkret angehen, die neuen Arbeitsaufgaben erlernen und seine körperlichen Fähigkeiten in der neuen Tätigkeit testen. Der Beginn der IV-Massnahme und neuen Tätigkeit war schwierig und verlangte viel Geduld von allen Beteiligten. Alleine wäre es für Herrn F. schwierig gewesen, diese Herausforderung anzunehmen und erfolgreich zu bestehen. Er hatte anfangs Mühe seine neue Arbeit zu akzeptieren. In den ersten Wochen bestanden gewisse Anpassungsschwierigkeiten, die sich auch in einer vorübergehenden Arbeitsunfähigkeit manifestierten. Eine psychologische Unterstützung durch die Case Managerin in Form von regelmässigen Gesprächen (Jobcoaching) war nötig und hilfreich. So konnte die nachhaltige Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit sichergestellt werden. Mit der Zeit konnte Herr F. seine neue Arbeitssituation akzeptieren und zeigte sich zunehmend dankbar für den Arbeitswechsel und die Chance, die ihm sein Arbeitgeber gegeben hatte.
Herr F. kommt der Rente mit 60 Jahren langsam aber sicher näher und wird durch die Anpassung der Tätigkeit in den letzten Arbeitsjahren gelassener und mit einer stabileren Gesundheit in den Ruhestand gehen.
Fazit und Feedbacks
Sicht des Klienten Herrn F.
Herrn F. brachte das Case Management die Unterstützung, welche er durch mangelnde Kenntnisse im medizinischen und administrativen Bereich sowie betreffend Arbeitsalternativen brauchte. Die psychologische Stütze vor und während des Arbeitswechsels war ebenfalls wichtiger Bestandteil der Begleitung. Die Neutralität der Case Managerin gab ihm das Vertrauen, dass eine gute Lösung für alle Beteiligten gesucht wird und ermöglichte ihm, alle seine Fragen und Ängste mit einer kompetenten Person ohne Vorbehalt zu besprechen. Aktives Zuhören und Ernstnehmen der Probleme waren dabei von grosser Bedeutung.
Sicht des Betriebs
Die involvierten Personen des Betriebes schätzten besonders die Koordination der Aktionen mit den verschiedenen Beteiligten (Versicherung, Ärzte, Therapeuten, Arbeitgeber, Case Manager). Dank dieser engen Begleitung fühlte sich auch der Betrieb in seinen Bedürfnissen verstanden und offerierte Möglichkeiten. Durch das Case Management konnten Schritte schneller angegangen, wertvolle Zeit gespart sowie eine langjährige Arbeitsunfähigkeit verhindert werden. Der Betrieb erkannte auch das positive Resultat eines korrekt angewendeten betrieblichen Gesundheitsmanagements und bekräftigte seinen Willen, den eingeschlagenen Weg in Zukunft weiter zu gehen.
Sicht der IV
Für den Berater der IV waren die Kenntnisse und positiven Kontakte der Case Managerin im Betrieb hilfreich, um eine interne Lösung zu finden. Der Berater schätzte insbesondere die Koordination und den Informationsfluss zwischen der Case Managerin, den Ärzten und dem Betrieb, die ebenfalls eine Zeiteinsparung bewirkten. Eine Berentung oder langjährige Betreuung von Herrn F. durch die IV konnte in diesem Fall verhindert werden. Die finanzielle Unterstützung der IV hat auch zum glücklichen Ende dieser Situation beigetragen.
Sicht der Case Managerin
Die Case Management Betreuung wurde nach ca. 1.5 Jahren abgeschlossen. Herr F. absolvierte eine Umorientierungsmassnahme im angestammten Betrieb und hat eine volle Arbeitsfähigkeit mit einer akzeptablen Leistung in seiner neuen Tätigkeit. Er wird dank dieser neuen angepassten Tätigkeit den Ruhestand mit einer stabilen Gesundheit erreichen. Seine gesundheitliche Situation hat sich verbessert und er sieht den letzten Berufsjahren relativ gelassen entgegen. Das von der Case Managerin aufgebaute Vertrauensverhältnis mit allen Beteiligten war ein wichtiger Bestandteil der erfolgreichen Lösungsfindung. Es war ebenfalls wichtig die Bedürfnisse der verschiedenen Akteure richtig wahrzunehmen und auf diese einzugehen, insbesondere jene des Betriebes.